Manchmal passieren die besten Dinge im Leben relativ überraschend….

Ziemlich kurzfristig konnte ich mich noch bei Ilona und ihrer Truppe einklinken und 8 Tage französische Seealpen buchen. Ich bin selten so unvorbereitet auf Tour gegangen, aber das war mir egal. Erst ein paar Tage vor Abfahrt habe ich mich zusammen mit Ilona mal in die Michelin-Karte vertieft um überhaupt rauszufinden wo es hingeht. Die Sprint wurde kurzfristig auf große Fahrt umgebaut und schon ging's los...

Gleich mal das Fazit vorab: Es war bisher so ziemlich die großartigste Tour die ich bisher gemacht habe. Die Gegend zwischen Briancon und Nizza hat alles im Angebot was man sich nur wünschen kann: Kniffligste Bergaufstiege mit zum Teil haarsträubender Strassenführung, großzügige Auffahrten mit Rennstrecken-Charakter und atemberaubende Schluchten. Unterwegs stürmen ständig neue An- und Aussichten auf den geneigten Reisenden ein. Dabei ist das Verkehrsaufkommen in der Regel sehr dünn.. Sicherlich ist das Vallée de l’Ubaye auch für andere "Sportler" interessant. Vor allem Radfahren und Wandern scheinen hier bevorzugte Urlaubsvergnügungen zu sein. Was aber Leute dazu treibt, sich mit dem Drahtesel bis auf 2800 Höhenmeter zu schrauben erschliesst sich mir nicht wirklich...

Unterkunft fanden wir bei Paula und Hans in Saint Pons; zwei Holländer die es vor sechs Jahren nach Frankreich verschlagen hat. Über das L'Escale en Ubaye kann man nur Gutes sagen. Es hat alles was man braucht und man kann von der Terrasse einen fantastischen Blick auf die gegenüber liegenden Berge mit den Orten Pra-Loup und Le Sauze werfen. Die Atmosphäre dort ist sehr familiär und freundschaftlich. Paulas Küche ist einfach großartig; es empfiehlt sich auf jeden Fall die Halbpension in Anspruch zu nehmen. Das Drei-Gang-Menu abends lässt einfach keine Fragen mehr offen.
Saint Pons ist ein kleiner Ort, ca. 10 Fahrminuten von Col de la Bonette entfernt. Die Hauptstadt des Ubaye-Tales
Barcelonnette liegt gut 2 Kilometer entfernt und bietet Tankstellen, Supermarchés und auch Restaurants, Pizzerien und Bars.

Wer allerdings erwartet in Frankreich heimische Gewohnheiten vorzufinden wird sicherlich enttäuscht.
Restaurants und Bistros öffnen teilweise wie es ihnen in den Kram passt. Die Mittagszeit ist heilig und oft findet sich zwischen eins und drei am Mittag kaum eine Gelegenheit unterwegs etwas vor die Zähne zu bekommen. Selbst Tankstellen und Supermärkte sind dann zu! Mangels großartiger französischer Sprachkenntnisse war die Bestellung von Essbaren oft abenteuerlich. Unvergessen die Interpretation von 'amburger in einem Bistro auf dem Weg nach Tende die sich als Flachfrikadelle mit Käse, Röstzwiebeln und Fritten entpuppte. Lecker war's trotzdem!
Mit ein paar Brocken Schulfränzösich, Händen und Füßen sind wir aber immer gut durchgekommen. Das Personal in den Cafés und Restaurants ist in der Regel sehr hilfsbereit und stellt auch schon mal dem der französichen Sprache Unmächtigen Gerichte auf der Karte pantomomisch dar.
Englischsprachige Einheimische sind übrigens eher selten. Deutsch braucht man erst gar nicht zu versuchen….!
Trotzdem sind wir fast überall sehr freundlich aufgenommen worden. Und in der Regel wird einem auf den Cols von langsameren Autos und Wohnmobilen bereitwillig Platz gemacht.

Anreise erfolgte per Autozug bis Alessandria in Italien. Natürlich ließ es sich die DB auch dieses Mal nicht nehmen unterwegs ein paar unterhaltsame Späße aufzuführen. Lokschaden auf dem Hinweg mit fast zweistündigem Aufenthalt in der Pampa und selbstgebauter Bistrowagen auf dem Rückweg sind vermutlich Appetizer für den Börsengang... Das Rauchverbot im ganzen Zug haben Ilona und ich daher auch eher großzügig interpretiert....

Die Anfahrt führte uns vom Terminal in Alessandria quer durch den Piemont. Die Po-Ebene ist einfach nur ein glühendheisses Flachstück das es einfach nur zügig zu durchqueren gilt. Nach gut drei Stunden landeten wir dann in Cuneo von wo wir nach kurzer Espressopause schon bald Frankreich erreichten. Langsam wurden die Strassen bergiger und der Col de Larche brachte uns auf knapp 1900 Meter Höhe. Von dort war es nur ein Steinwurf nach Barcelonnette und weiter nach Saint Pons.

Im L'Escale en Ubaye wurden wir von Tanja und Jochen empfangen, die schon einige Tage vorher angereist waren. Die beiden führten uns auch am nächsten Tag mit ihren Varaderos auf die erste große Rundreise. Über den Col de la Bonette, St. Etienne de Tinée, den Col de la Couillole und den Col de la Cayolle ging es einen ganzen Tag lang quer durch die Berge und gab uns einen ersten Vorgeschmack auf das was uns in den nächsten Tagen erwartet...
Vor allem der Col de la Bonette ist ein absolutes Muss. Es bieten sich wahre Mondlandschaften auf dem höchsten befahrbaren Alpenpass. Das obligatorische Zielfoto am
Cime de la Bonette darf natürlich auch nicht fehlen.

In den nächsten Tagen haben wir in unterschiedlichen Konfigurationen noch weitere Cols und Täler erobert. Normalerweise lässt die Michelin-Karte schon beim bloßen Draufsehen erahnen, daß es den Reifen an den Kragen geht. Man sollte sich jedoch nicht zu der Annahme verleiten lassen, daß in der Gegend Bundestrassen immer gut ausgebaut sind. Teilweise führen sogar die fett rot eingezeichneten Nationalstrassen in der Michelin-Karte über enge Bergstrassen. So muss man für gute 100 Kilometer schon mal drei Stunden Fahrzeit einplanen weil es durch enge Schluchten und teilweise heftige Pässe geht und man kaum über 30 km/h Schnitt kommt.

Wir haben sogar eine Hausrunde gefunden die uns rund um den Lac de Serre Poncon führte. Mal eben auf einen Sprung rund um einen der größten Stauseen Europas führt auf einer gut ausgebauten Strasse immer am Ufer lang und lädt in Chorges zum Boxenstopp ein...
Am Ostufer bietet sich auch die Gelegenheit sich die Erdpyramiden von Demoiselles Coiffées anzutun.

Die Runde entlang am Ostufer nutzen wir auch am Donnerstag um dann kurz hinter Embrun in einen schmal eingezeichneten Weg weg von der Hauptstrasse einzubiegen. Die Alternative zur langweiligen Nationalstrasse 94 entpuppt sich als absoluter Glücksgriff. Über einen schmalen Weg mit grottenschlechtem Asphalt führt es uns weit ins Hinterland in abgelegene Dörfer und spuckt uns erst kurz vor Mont Dauphin wieder aus.

Von dort wollen wir weiter über Guillestre nach Risoul. Den Aufstieg nach Risoul muß wohl der Typ entworfen haben der sonst Rennstrecken auf Millimeterpapier malt. Unglaublich griffiger Asphalt mit wirkungsvollen Kurvenradien führen uns nach oben.
Risoul entpuppt sich als Trabantenstadt für den Wintersport. Im Sommer eher eine Geisterstadt... Es soll einen Weg von dort nach Vars geben; aber der ist ein Feldweg und ich will die Geländefähigkeiten der Sprint nicht wirklich wissen. Also steigen wir wieder ab nach Guillestre und nehmen den Col de Vars von der Nordseite.

Die Nordrampe ist genau das was einer T300 liegt und ich vergesse jegliche Vorsicht und prügele den Bomber mit aller Gewalt bis zur Passhöhe. Mir ist's egal ob es mich und den Eisenhaufen in die Rabatten haut; ich will nur als Erster oben sein... Das verloren geglaubte Valentino-Gen meldet sich vehement zu Wort....

Am Freitag verabschieden wir morgens Tanja und Jochen.
Wir fahren anschließend nochmals zum Col de Vars, diesmal aber über die Südrampe. Durch den wundervoll gelegenen Park Naturel de Queyras geht es dann zum Col d'Izoard. Der heftige Wind und die unfreundliche Temperatur dort oben lassen uns aber schnell nach
Briancon flüchten...

Die N94 führt uns entlang der Durance zurück nach Embrun wo wir noch mal in den Seitenweg parallel zur N94 einsteigen um schließlich wieder am Lac de Serre Poncon zu landen von wo aus wir zurück nach Saint Pons fahren.

Am Samstag machen wir uns auf, um die letzten noch offenen Punkte abzuarbeiten. Planerisch sollten es gute 300 Kílometer sein. Über den Col de la Bonette nach Rimplas; dort über den Col Saint Martin und Roquebiliére zum Col de Turini. Dann abwärts über Sospel und den Col de Brouis nach Tende um durch den Tunnel de Tende und einem kurzen Streifzug durch Italien wieder nach Saint Pons zu kommen.
Die Schlucht Gges de Piaon lässt sich bei der Abfahrt vom Col de Turini auch noch mitnehmen.
Wer unbedingt will ist in Sospel nur noch gute 40 Kilometer von Nizza und Monaco entfernt und kann sich das antun.

Unsere Samstagsrunde stellte sich als anstrengender dar als geplant. Bis zum Mittag liegt der Schnitt im grünen Bereich; aber die Temperaturen steigen am Nachmittag steil an und auf der D6204 hinter Sospel herrscht dichter Verkehr der sich durch die enge Schlucht Gges de Saorge quält. Überholen ist so gut wie unmöglich; vor allem wenn man die Reisegruppe nicht sprengen will.
So langsam geht der Truppe die Puste aus und der Rückweg nach Barcelonette zieht sich hin. Zu allem Überfluss fängt es kurz vor dem Ziel auf dem Col de Larche noch heftig an zu regnen. Wir hangeln uns mühselig den Berg herunter; knapp über Schrittgeschwindigkeit. Abends um acht kommen wir endlich in Saint Pons an und fühlen uns alle wie Helden.

Am Sonntag gönnen wir unseren Rössern einen Ruhetag und verbummeln den Tag auf der Terrasse des L'Escale en Ubaye. Abends genießen wir ein letztes Mal Paulas grandiose Kochkünste und ich lasse bei einer Zigarette und einem letzten "Braubier 42" noch mal die fantastische Abendstimmung der Berge auf mich wirken. Eine tolle Woche geht den Ende zu; am Montag heißt es auf nach Alessandria zum Autoreisezug der uns wieder nach Düsseldorf bringt.

Zum Schluß noch etwas Statistik:

Gesamtstrecke in 7 Tagen: 1800 Kilometer. Gefahren sind wir fast immer nach der Michelin-Karte "Provence-Alpes- Cote d'Azur" im Maßstab 1:200.000. Die ist detailliert genug um auch kleine Verbindungsstrassen zu finden und hat Tankstellen eingezeichnet was uns oft geholfen hat.
Wir waren sehr experimentierfreudig und haben auch kleinste Strassen mit eingeplant. Diese können in Frankreich asphaltiert sein; sich aber auch vor Ort als besserer Feldweg herausstellen. Wertvolle Hinweise dazu geben entsprechende Bücher mit Tourberichten die oft den entscheidenden Hinweis geben.
Die Strassen sind im Regen mit Vorsicht zu genießen. Wegen des verschwenderischen Umgangs mit Bitumen in Frankreich ist z.B. die D3 von Chorges nach Rousett im Regen fast unbefahrbar... Im Trockenen ist der Grip größtenteils supergut. Wenn die Franzosen auch kein Bier brauen können; im Straßenbau sind die Jungs ganz vorne dabei. Leider frißt der rauhe Asphalt Reifen. Meinen hinteren M1 hat's auf den 1800 Kilometer komplett zerlegt.

Wie so oft holt einen auch hier die Vergangenheit öfter ein als es einem lieb ist.
Die gesamte Gegend ist noch mit Verteidigungsanlagen aus dem zweiten Weltkrieg gespickt. Wir haben das zwar zur Kenntnis genommen; uns aber verspäteten Geschichtsunterricht erspart. Einzig kurz vor der Passhöhe des Col de la Bonette haben wir versucht eine alte Bunkeranlage (die völlig offen und zugänglich ist) zu erkunden. Mangels Licht haben wir das aber auch schnell wieder aufgegeben...

Der Autoreisezug Düsseldorf - Alessandria ist eine sehr gute Alternative zur Anreise auf eigener Achse. Vor allem die Rückfahrt durch die Po-Ebene, vorbei am Lago Maggiore und durch die Schweiz bietet richtig was fürs Auge.
Und im Tunnel unterm Simplon-Massiv ein Becks aus dem Bord-Bistro zu trinken hat was ganz Spezielles…

Fotos: Armin, Jürgen, Ilona